Jenseits von Marktlogik und Staat
Caren Lay über die aktuelle Commons-Debatte, erfolgreiche und gescheiterte Volksentscheide und alternative Wirtschaftsprojekte. Ein Plädoyer für eine Demokratisierung des Gemeinwesens.
Das Revival der Commons ist in vollem Gange. In der Theorie geht es um Fragen selbstverwalteter Ressourcen und demokratischem Gemeingut. In der Praxis ist »Commoning« ein Trend, der sich in den unterschiedlichsten Bereichen zeigt: Ob Open Source-Software, Gemeinschaftsgärten, Hausprojekte, freier Internetzugang oder kostenloser Öffentlicher Nahverkehr - das sind nur einige Beispiele für die zahlreichen Initiativen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind.
So gewann die Initiative »Freies Feld« in der Hauptstadt einen Bürgerentscheid gegen Pläne des Senates, das Gelände des Tempelhofer Flughafens zu bebauen. Auch der Berliner Energietisch, der die Energieversorgung in ein öffentliches, demokratisch verwaltetes Stadtwerk überführen wollte, hat viel Zuspruch erfahren - trotz der knapp gescheiterten Volksabstimmung. Und der erfolgreiche Widerstand gegen die drohende EU-Wasserprivatisierung hat bis in das konservative Lager hinein eine Debatte ausgelöst, welche Ressourcen allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sein sollten.
Stefan Meretz schrieb in »neues deutschland« über Commons: Linke glauben oft, »dass mit der Eigentumsfrage gleichsam die Frage der praktischen Verfügung gelöst sei«. Recht hat er: Öffentliches Eigentum alleine ist noch keine Garantie dafür, dass zum Beispiel ein kommunales Unternehmen seine Geschäftspolitik tatsächlich an dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger ausrichtet. Wasserversorgung in öffentlicher Hand schützt noch nicht vor Sperren, wenn das Geld fehlt, die Rechnung zu bezahlen. Es ist der Anspruch freier Zugänglichkeit und die Beteiligungs- und Nutzerorientierung, die einen Staatsbetrieb mit Verwaltungsapparat von Commons in Selbstverwaltung unterscheidet. Nicht die Wiedergeburt des volkseigenen Betriebes, der Beschäftigten sowie Nutzerinnen und Nutzern entfremdet gegenübersteht, sondern die Demokratisierung der Verfügungsgewalt stellt sich für uns Linke als Aufgabe.
Gleichzeitig ist öffentliches Eigentum die Voraussetzung dafür, dass Demokratie im Interesse der Allgemeinheit verwirklicht werden kann. Statt Privatisierung weiter voranzutreiben, wäre es Aufgabe des Staates, die freie Zugänglichkeit von Ressourcen und Gütern mindestens der öffentlichen Daseinsvorsorge zu schützen und kooperatives, selbstverwaltetes Wirtschaften zu fördern.
Was also tun? Konkret geht es darum, den Kampf gegen Privatisierung und die Forderung nach Rekommunalisierung mit einer neuen Debatte um die Demokratisierung der Wirtschaft zu verknüpfen. So forderte etwa der Berliner Energietisch nicht nur, dass die Energieversorgung wieder durch ein kommunales Stadtwerk erfolgen soll, sondern auch, dass der Verwaltungsrat teilweise direkt gewählt wird, Bürgerinnen und Bürger ein Initiativrecht bekommen und sich auf Versammlungen zur Beratung treffen - das Gegenteil also zu einer hinter verschlossenen Türen tagenden Chefetage. In überschaubareren Projekten wie Gemeinschaftsgärten entscheiden die Nutzerinnen und Nutzer gemeinsam in öffentlichen Plena. Und bei Genossenschaften gibt es Modelle, die nicht der Geschäftsführung, sondern den Mitgliedern die Entscheidungskompetenzen zuweisen und versuchen, das Genossenschaftsrecht zu demokratisieren.
Aufgabe aller Linken ist es dabei, zum einen die Notwendigkeit öffentlichen Eigentums zu betonen. Das unterscheidet uns von denjenigen Akteuren, die sich beim »Communising« auf natürliche Ressourcen oder auf die Reste, die in der kapitalistischen Gesellschaft »übrig bleiben«, beschränken. Zum anderen geht es darum, die Commons auszuweiten und so der kapitalistischen Markt- und Wettbewerbslogik Stück für Stück mehr Bereiche zu entziehen. Neben der dringenden Diskussion um Wirtschaftsdemokratie bietet die Debatte um Commons ebenfalls die Chance, wieder Raum zu schaffen für einen öffentlichen, zivilgesellschaftlichen Sektor, der jenseits von Marktlogik auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite funktioniert.
Das Gute an Commons: Die Idee muss nicht ins Jenseits verbannt werden. Eine linke, alternative Praxis kann schon heute entstehen. Und aktuelle Commons-Projekte machen deutlich, dass in der Gesellschaft bereits ein Umdenken stattgefunden hat - weg vom Kapitalismus und hin zu einer demokratischen Art des Wirtschaftens.
Dieser Artikel erschien in der Tageszeitung Neues Deutschland.