Börsenbahn« aufs Abstellgleis – Geld zurück bei Horrorfahrten

Interview der Woche

19.07.2010

Im Winter waren es vereiste Oberleitungen, jetzt legt die Hitzewelle in Deutschland die Züge der Deutschen Bahn lahm: Ausgefallene Klimaanlagen ließen Fernzugfahrten vergangene Woche oftmals zum Horrortrip werden. Stehen Sicherheit und Fahrgast-Orientierung hinter Profitgier und Börseneifer zurück? Und weshalb gelingt es der Bahn nicht, Reisende bei solch gravierenden Pannen angemessen zu entschädigen?
Im Interview der Woche antworten darauf Caren Lay, verbraucherpolitische Sprecherin, und Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.

Kaputte Radwellen, nicht brauchbare Neigetechnik, defekte Kupplungen, jetzt noch der Ausfall der Klimaanlagen bei tropischer Hitze - das »Unternehmen Zukunft«, wie die Deutsche Bahn sich gern bewirbt, scheint auf dem besten Weg zu sein, ein Schrottplatz zu werden. Was muss geschehen?

Sabine Leidig: Die DB müsste umgehend zusätzliche Instandhaltungskapazitäten und eine ausreichende Zugreserve aufbauen. Und natürlich die unzureichende Technik – seien es Achsen, Klimaanlagen, oder Toiletten – so schnell wie möglich austauschen. Das wichtigste ist, dass das »rollende Material« den wirklichen Verhältnissen angepasst wird: Räder und Achsen müssen so dimensioniert werden, dass sie ohne Risse die gesamte Lebensdauer eines Zuges überstehen, auch wenn die Geschwindigkeiten hoch und die Gleise holprig sind. Die Klimaanlagen müssen so ausgerichtet werden, dass sie auch 50 Grad Celsius in der Sonne ausgleichen können, und natürlich müssen alle Fahrzeugteile regelmäßig gründlich gewartet werden. Es reicht nicht, dass die DB die empfohlenen technischen Mindest-Normen einhält. Die Bahnen in Frankreich oder in der Schweiz fahren besser – mit größeren Sicherheitspolstern und mehr Reserven.

Caren Lay, Sie hatten von der Bahn Entschädigungen für die betroffenen Fahrgäste gefordert. Wie kann man das Recht der Fahrgäste auf angemessene Kompensation besser verankern?

Caren Lay: Bahnreisen dürfen nicht gesundheitsgefährdend sein. Überhitzte Züge im Sommer, eiskalte Waggons im Winter und völlig überfüllte Züge vorzugsweise freitags sind nicht naturgegeben, sondern von der Deutschen Bahn AG zu verantworten. Analog zu den Entschädigungen bei Zugverspätungen sollte es deshalb eine Entschädigung für Fahrgäste bei unzumutbaren Beförderungsbedingungen geben. Entschädigungsleistungen sollen in einem unbürokratischen Verfahren in bar, nicht nur in Form von Gutscheinen ausgezahlt werden.

Die Bahn hat nun eine Entschädigung der betroffenen Reisenden angekündigt. Damit ist doch alles geklärt, oder?

Caren Lay: Fahrgäste, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung ärztlich versorgt werden mussten, brauchen keine Entschädigung, sondern angemessenen Schadensersatz wegen Körperverletzung. Ich glaube nicht, dass die Bahn so billig wegkommt, wie sie sich das mit ihrem Angebot von 150 % des Fahrpreises offenbar vorstellt. Auch Reisende, die in der ICE-Sauna Kollaps und Dehydrierung noch knapp entgangen sind, können sich sicher Angenehmeres vorstellen als einen Reisegutschein der Deutschen Bahn in Höhe des halben Fahrpreises. Wir fordern: Geld zurück bei Horrorfahrten. Und zwar in bar und komplett.

Offenbar wusste die Bahn schon seit längerem, dass Züge technisch auffällig waren, hat deren Wartung aber aus Kostengründen hinausgezögert – Knauserei auf Kosten unserer Sicherheit. Wer hat ein Auge darauf, dass die Bahn ihre Züge ordentlich wartet und wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Sabine Leidig: Eigentlich ist der Bund als Eigentümer gefordert, seinem Unternehmen auf die Finger zu schauen. Politische Einflussnahme ist aber seitens dieser und der letzten Regierungen nicht mehr gewünscht: De facto wird die Schienenpolitik im Bahntower gemacht und nicht im Verkehrsministerium. Das zeigt sich auch bei der Besetzung des Aufsichtsrates der Bahn. Die Bundesregierung hat diesen vor allem mit Wirtschaftsvertretern besetzt, deren Interesse zum Beispiel auf billige Gütertransporte gerichtet ist. Notwendig wäre, dass Fahrgast- und Umweltverbände, Bahnsicherheitsfachleute und neutrale Verkehrsexperten im Aufsichtsrat sitzen, die sich für die Kunden einsetzen. Darüber hinaus sollte das Eisenbahnbundesamt aus seiner Abhängigkeit vom Ministerium herausgelöst werden. Eine unabhängiger »Schienen-TÜV« wäre wirksamer.

Nicht nur die mangelhafte Wartung der Technik, auch die MitarbeiterInnen der Bahn waren im aktuellen Fall Zielscheibe der Kritik, hatten sie doch erst spät auf die Hitze reagiert und den Fahrgästen nicht geholfen. Reicht es, Bahnbeschäftigte besser zu schulen oder sehen Sie weiteren Handlungsbedarf, etwa bei den Arbeitsbedingungen, der Personaldichte oder den Entscheidungsstrukturen?

Sabine Leidig: Die ZugbegleiterInnen sind das schwächste Glied in der Kette. Sie arbeiten derzeit häufig unter unerträglichen Bedingungen: große Hitze, wenig Entscheidungskompetenz und Zielscheibe für Kundenfrust. Außerdem herrscht bei der Bahn auch über ein Jahr nach Mehdorns Abgang vielfach noch immer ein Klima der Verunsicherung, es gibt Personalengpässe und unsinnige Einsparungen. Das sind die Hintergründe für Fehlentscheidungen und Unfreundlichkeit. Warum es erst letzten Montag eine klare Anweisung an die MitarbeiterInnen der DB für Hitzephasen gab, ist für mich völlig unverständlich. Sie sollen jetzt »kulant« vorgehen, was sonst nicht geduldet wird. An der Etablierung der vom neuen Bahn-Vorstandschef Grube angekündigten neuen Unternehmenskultur muss also noch ein ganzes Stück gearbeitet werden. Und natürlich braucht die Bahn wieder mehr Personal, zum Beispiel an den Bahnsteigen.

Die Bahnprivatisierung wurde ja zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Dennoch kauft die Bahn weiterhin kräftig im Ausland ein, jüngst für 2,5 Milliarden Euro die britische Transportgesellschaft Arriva. Verkehrsminister Ramsauer hatte zudem erst im März dieses Jahres bei der Ernennung des neuen Bahn-Aufsichtsratschefs klar gestellt, dass die Privatisierung der Bahn weiterhin zentrales Thema der Bundesregierung ist. Kommt doch noch das Aus für die »Börsenbahn«?

Sabine Leidig: Tatsächlich ist das Kernproblem, dass die DB AG wie ein kapitalistischer Konzern aufgestellt wird. Da geht es um weltweite Marktanteile, anstatt um eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene. Es geht um Konkurrenz zu anderen Bahnunternehmen, anstatt um europaweite Kooperation. Es geht darum, jährlich beträchtliche Gewinne auszuweisen, anstatt die Schieneninfrastruktur langfristig und nachhaltig zu bewirtschaften. Die fast schon manische Fixierung auf die Börsenfähigkeit hat doch erst dazu geführt, dass bei Infrastruktur, Personal und Wartung gespart wurde ¬– dafür steht exemplarisch die Berliner S-Bahn. Diesen Kurs hat auch Bahn-Chef Grube nicht verlassen und die Regierungsparteien haben ihn im Koalitionsvertrag bekräftigt, in dem sie einen Börsengang anstreben, sobald es die Kapitalmärkte zulassen. Nicht nur die im »Sparpaket« beschlossene Dividendenzahlung der Bahn an den Bund von 500 Millionen Euro im Jahr muss weg, die ganze Kapitalfixierung muss endlich ad acta gelegt werden.
Das Parlament müsste diesem Spuk ein Ende bereiten und der Bahn andere Entwicklungsziele diktieren: Pünktlichkeit, Sicherheit, Service, Umweltschutz und bessere Angebote in der Fläche.

Die Bahn ist sicher ein prominenter, aber leider nicht der einzige Bereich, der in Sachen Verbraucherschutz in Deutschland dringend Nachhilfe benötigt. Der Verbraucherschutzindex stellt Bund und Ländern überwiegend schlechte Noten aus. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Caren Lay: Deutschland ist in Sachen Verbraucherschutz immer noch ein Entwicklungsland. Im Moment sehe ich den größten Handlungsbedarf im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes. Jahr für Jahr verlieren Verbraucherinnen und Verbraucher Milliarden durch schlechte und fehlerhafte Finanzberatung, durch versteckte Kosten bei Altersvorsorgeprodukten und durch dubiose Geldanlagen. DIE LINKE fordert deshalb unter anderem eine Reform der Finanzaufsicht und eine Verbraucherschutzbehörde sowie die Einführung eines Finanz-TÜVs, der unsichere Anlageprodukte gar nicht erst auf den Markt lässt.

Kontrollen und Schutzmechanismen sind wichtig, allerdings auch umfassende Informationen. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hatte es versprochen- wie lange müssen wir noch auf ein ordentliches Verbraucherinformationsgesetz warten?

Caren Lay: (lacht) Vermutlich bis nach einem Regierungswechsel. Bis dahin wird es wohl weiter bei folgenlosen Pressemitteilungen und Talkshow-Statements von Ankündigungsministerin Aigner bleiben.
Die Fraktion DIE LINKE hat Anfang Mai einen Antrag vorgelegt, der eine schnelle Überarbeitung des VIG fordert und unsere Vorschläge aufzeigt. Grüne und SPD haben nachgezogen. Die Unterschiede zwischen den drei Anträgen sind minimal. Man würde sich also sehr schnell einigen können. Leider reicht es im Bundestag noch nicht für eine Mehrheit, um notwendige und sinnvolle Reformen – nicht nur in der Frage des Verbraucherinformationsgesetzes – durchsetzen zu können.

linksfraktion.de, 19. Juli 2010

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.