Kandidatur zur Fraktionsvorsitzenden

Mein Bewerbungsschreiben an die Fraktion DIE LINKE

30.10.2019
Caren Lay

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 12.November wählen wir einen neuen Fraktionsvorstand. Unsere bisherige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hat bereits im März erklärt, dass sie für dieses Amt nicht mehr kandidieren wird. Es hat leider nur wenige Stunden  nach der für DIE LINKE überaus erfolgreichen Wahl in Thüringen gedauert, bis die ersten Berichte mit wertenden  Spekulationen über meine Kandidatur erschienen sind. Ich habe mich daher entschieden, früher als ursprünglich geplant, selbst Klarheit zu schaffen. Ich schreibe euch deshalb heute, um meine Kandidatur für den weiblichen Teil der Doppelspitze zu erklären.

Nach den letzten beiden schwierigen Jahren brauchen wir einen neuen Aufbruch hin zu einer gemeinsamen Fraktionsarbeit. Dafür ist viel Integrationsarbeit zu leisten. Ich möchte die Fraktion aus der Mitte heraus führen. Wir brauchen ein starkes Zentrum und strömungsübergreifende Zusammenarbeit. Entscheidend ist nicht, wer aus welchem Flügel kommt, sondern wer sich engagiert und sachorientiert in die Arbeit einbringt. Ein starkes Zentrum und eine gute Arbeitsatmosphäre nach innen sind die Voraussetzungen dafür, die Fraktion wieder nach vorne, in die Offensive zu bringen. Wir brauchen uns alle, um die Regierung wieder vor uns her zu treiben. Das sind wir den Mieterinnen und Mieter, den Beschäftigten und den Erwerbslosen, den Rentnerinnen und Rentnern, den Studierenden und Auszubildenden schuldig!

Eine zerstrittene Partei ist eine unattraktive Partei. Eine gemeinsam getragene Politik zu entwickeln ist daher oberstes Gebot. Ich habe zum Beispiel die Mietenpolitik immer so betrieben, dass wir gemeinsam, trotz unterschiedlicher Zugänge, dahinter stehen. Mit unserer nicht ganz einfachen Beschlussfassung zu Kohleausstieg und Beschäftigungsgarantie habe ich bewiesen, dass ich auch umstrittene Themen so bearbeiten kann, dass wir unsere Position einstimmig beschließen können. Diesen Weg möchte ich fortsetzen. Nicht das Trennende, sondern das, was uns eint, gehört ins Zentrum der Kommunikation!

Ich bin im westdeutschen sozialdemokratischen Facharbeitermilieu aufgewachsen, bin in den sozialen Bewegungen politisch sozialisiert und verortet. Ich habe 20 Jahre Erfahrung in Ostdeutschland und meinen Wahlkreis im ländlichen Raum in Ostsachsen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund traue mir zu, eine verbindende Politik der verschiedenen Milieus zu entwickeln, die unsere Partei so dringend braucht.

Sahra hinterlässt als scheidende Fraktionsvorsitzende große Fußstapfen. Ich habe Respekt vor der Aufgabe, fühle mich aber vor dem Hintergrund meiner langjährigen Erfahrung für diese Herausforderung gewappnet. Die parlamentarische Arbeit habe ich von der Pieke auf gelernt und blicke auf 20 Jahre hauptamtlicher Erfahrung im Politikbetrieb zurück: als Referentin, Redenschreiberin, Verwaltungsmitarbeiterin. Ich bin seit 15 Jahren Abgeordnete, zunächst im Sächsischen Landtag und seit 10 Jahre im Deutschen Bundestag. Zwölf Jahre lang war ich Mitglied des Parteivorstandes, darunter auch als Bundesgeschäftsführerin und stellvertretende Parteivorsitzende. Ich habe viele Erfahrungen mit Journalisten und Medien gesammelt. Ich traue mir deshalb zu, die Fraktion gut zu führen und professionell nach außen zu repräsentieren.

Ob es uns gelingt, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Erwerbslose wieder stärker anzusprechen, ist eine Gretchenfrage für die ganze Partei. Das erreichen wir nicht durch abstrakte Strategiedebatten, sondern indem wir die Bedürfnisse der Menschen, ihre materiellen Interessen und existentiellen Nöte zum Ausgangspunkt unserer parlamentarischen Arbeit machen. Und durch praktische Politik. Wie wäre es, wenn wir beim nächsten Streik zur Unterstützung eine kollektive Fraktionssitzung bei den Streikenden durchführen? Wie wäre es, wenn wir unseren Neujahrsempfang zukünftig nicht in Berlin-Mitte, sondern zum Beispiel in der Gropiusstadt durchführen? Lasst uns hingehen, lasst uns durch praktische Arbeit die Menschen überzeugen.

Bei unserem Markenkern - gute Arbeit, Rente, Pflege und Gesundheit, Umverteilung, Ostdeutschland, Frieden und Abrüstung - sind wir inhaltlich und konzeptionell bereits gut aufgestellt. Hier wird es darum gehen, diejenigen Forderungen herauszuarbeiten, die wir öffentlich setzen und mit denen wir die Regierung und die anderen Fraktionen zwingen, um unsere Themen, nicht um ihre zu kreisen. Der Mietenpolitik, die ich seit 8 Jahren mit viel Herzblut und Leidenschaft betreibe, wird in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zukommen, weil Mietenanstieg und Verdrängung für viele Menschen eine existentielle Bedrohung darstellen. DIE LINKE ist die Partei der Mieterinnen und Mieter. Ein bundesweiter Mietendeckel, ein Neustart im Sozialen Wohnungsbau gehen nur mit uns. In der Klimapolitik müssen wir eine linke Handschrift entwickeln. Uns geht es um Klimagerechtigkeit. Nicht Arbeitnehmerinnen und Verbraucher dürfen am Ende die Zeche für eine seit Jahrzehnten verfehlte Politik zahlen, sondern die Konzerne und Profiteure einer für Mensch und Natur ausbeuterischen Politik. „System change not climate change“ - nur DIE LINKE kann diese Position füllen und besetzen. Gleiche Bildungschancen für alle - das ist mir schon allein aus eigenem Erleben ein Herzensanliegen. Feministische Politik möchte ich noch stärker mit Klassenpolitik verbinden. Eine bewegungsorientierte Politik und die Kooperation mit der Zivilgesellschaft und mit Verbänden gehören für mich zum Selbstverständnis moderner linker Politik.

Ich möchte eine Kultur der Wertschätzung, der Anerkennung und des Respektes gegenüber allen Abgeordneten, auch für diejenigen, die nicht immer im Licht stehen. Ich stehe für offene Diskussion und transparente Entscheidungsfindung in den dafür vorgesehenen Gremien.

Zwingend notwendig erscheint es mir, wieder regelmäßig Klausuren durchzuführen, in denen wir uns gemeinsam in einem demokratischen Prozess auf die Schwerpunkte unserer Arbeit verständigen, in denen wir uns die Zeit nehmen, strategische Fragen zu diskutieren, und auch unsere Differenzen in respektvollen Diskussionen zu besprechen und, wenn möglich, weitgehend konsensuell zu lösen.

Eine gute Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvorstand, dem Parteivorstand, dem Bundesausschuss, den Landesverbänden und Landtagsfraktionen gehört für mich selbstverständlich dazu. Auch die Unterstützung unserer Kommunalpolitikerinnen und – politiker ist mir ein wichtiges Anliegen.

Die Arbeit von 69 engagierten und erfahrenen Abgeordneten und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden öffentlich zu wenig wahrgenommen. Lasst uns gemeinsam darauf hinarbeiten, dass die Genossinnen und Genossen an der Basis stolz sein können auf unserer Arbeit. Die Fraktion mit all ihren Ressourcen hat die Verantwortung, für eine positive Ausstrahlung für DIE LINKE zu sorgen.

Liebe Genossinnen und Genossen! Ihr seid die Ersten, die von meiner Kandidatur erfahren. Dass sie öffentlich wird, wird sich nicht vermeiden lassen. Und dennoch gilt: zuerst die Fraktion und nicht die Presse zu informieren, gehört zu meinem Selbstverständnis. Ich stehe erst morgen für Fragen von  Journalistinnen und Journalisten zur Verfügung.

Ich habe in den letzten beiden Wochen bereits mit Vielen von Euch gesprochen. Viele Anregungen habe ich aufgenommen. Ich stehe für weitere Gespräche zur Verfügung und reiche auch Kritikerinnen und Kritikern die ausgestreckte Hand.

Ich freue mich  auf weitere Gespräche  - und bitte euch um Unterstützung!

Eure Caren

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.