Liebe LINKE, wir müssen reden!

Gründe für das desaströse Abschneiden bei der Bundestagswahl

Liebe DIE LINKE, wir müssen reden!

Gründe für das desaströse Abscheiden bei der Bundestagswahl

Die LINKE hat eine desaströse Wahlschlappe kassieren müssen. Für mich ist es an der Zeit, aus der Schockstarre aufzutauchen, meine Gedanken für die Niederlage mit euch teilen und zur Diskussion zu stellen. Klar ist natürlich, dass die Konzentration auf die Kanzler*innenfrage, die Fokussierung auf die Trielle, die einer parlamentarischen Demokratie nicht würdig sind sowie ein Wahlkampf der sich an Personen (und ihre Verfehlungen) statt auf Programme fokussierte für DIE LINKE alles andere als hilfreich waren. Anderseits konnte sich etwa die FDP trotzdem behaupten. Was ist also schief gelaufen bei uns, was hätten wir selbst besser machen können? Die hausgemachten Probleme müssen wir offen und schonungslos diskutieren, wenn wir verhindern wollen, dass aus dieser Wahlschlappe eine existentielle Krise wird.

Für heute meine erste These:

1. DIE LINKE ist die einzige Partei, die Ihre Kernkompetenz öffentlich in Frage stellt

Alle Parteien müssen verschiedene Wähler*innengruppen mit unterschiedlichen Interessen hinter ihrem Programm und ihren Kandidat*innen versammeln. Dies kann mitunter ein schwieriger Spagat sein. So muss die Union etwa regelmäßig die Interessen von international agierenden Wirtschaftsmanagern aus Frankfurt am Main und frommen Kirchgängerinnen auf dem Eichsfeld unter einen Hut bringen. Dies ist, zugegeben, nicht besonders gut gelungen. Viel besser die SPD, die konturlos in der Mitte fröhlich all diejenigen einsammelte, die politisch ähnlich unentschieden sind wie sie selbst und zudem die Blamage von Armin Laschet am Verhandlungstisch mit Biden und Putin fürchteten. Außerdem ist sie in ihrem Wahlprogramm und mit ihrer Kampagne nach links gerückt und war daher in der Zuspitzung auf die Kanzler*innenfrage auch für viele unserer Wählerinnen und Wähler wieder wählbar. Den Grünen gelang der Spagat, sowohl Mietenaktivist*innen in Berlin-Kreuzberg von sich zu überzeugen, als auch deren Vermieter aus Stuttgart - nicht zuletzt dadurch, dass sie ihre mietenpolitische Vorschläge so vage wie möglich formulierte. Der FDP gelingt es neuerdings, sowohl alteingesessene Hoteliers als auch junge Erstwähler auf der Suche nach dem nächsten Hotspot auf sich zu vereinen.

Gemessen an diesen Spreizungen sind die Interessen von Omi im ostdeutschen Plattenbau, einer Friday-for-future-Aktivistin aus einer Unistadt und einem westdeutschen Schichtarbeiter recht nah beieinander. Es sollte möglich sein, sie alle hinter einer kapitalismuskritischen Haltung zu versammeln und mit ihnen gemeinsam für eine gerechte und nachhaltige Welt zu streiten, die nicht von Profit und Ausbeutung diktiert wird. Für höhere Löhne und Renten, einen bundesweiten Mietendeckel und ökologische Stadtwerke statt Energiekonzernen wären gemeinsame Interessen. Doch während alle anderen Parteien ihre Gegensätze und Widersprüche so wenig wie möglich thematisieren, führen prominente Mitglieder der LINKEN seit Jahren eine Debatte über die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze unserer verschiedenen Wählermilieus und stellen unsere Kernkompetenz für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Frage. Und das nicht nur intern.

Während bei anderen Parteien Strategiedebatten hinter verschlossenen Türen geführt werden, (das haben wir vielleicht zu einig getan), führen prominente LINKE sie in Spiegel und Welt, in taz und FAZ. Ganze Bücher wurden dazu veröffentlicht. Nicht nur Sahra Wagenknecht, auch andere sprangen auf die Debatte mit auf und bescheinigten der LINKEN, sich nicht länger um die Interessen der arbeitenden Klasse, von Rentner*innen und Beschäftigten zu kümmern. Dieses Verhalten wurde geduldet und hat uns massiv geschadet. Niemand wäre ansonsten auf diese Idee gekommen, wenn nicht führende LINKE es immer wieder - fälschlich - behaupteten. Denn nichts anderes haben wir seit der Gründung der LINKEN getan. Der PDS konnte man vielleicht noch vorwerfen, die Interessen der abhängig Beschäftigten nicht zum Kern ihrer Politik gemacht zu haben. Seit der Parteigründung der LINKEN ist das anders. Die Schwerpunkte des Parteiprogramms, diverser Wahlprogramme sowie unsere parlamentarische Arbeit drehen sich sämtlich um Arbeit und soziale Gerechtigkeit.

Richtig ist natürlich, dass wir uns auch klar und deutlich antirassistisch und queer-feministisch positioniert haben und jeder Parteitag hier mit übergroßer Mehrheit entsprechende Positionen beschließt. Aber wer wollte ernsthaft in Zweifel ziehen, dass eine linke Partei gegen ALLE Verhältnisse kämpfen muss, in den Menschen erniedrigte und entrechtete Wesen sind? Das schließt den Kampf gegen Patriarchat und Rassismus selbstverständlich mit ein. Auch wenn dies nicht der Schwerpunkt unserer parlamentarischen Arbeit war, so ist es ja selbstverständlich, nicht nur die Betroffenen, sondern auch die starken sozialen Bewegungen zu unterstützen, die für ihre Rechte kämpfen. Sollen wir diese Bewegungen, die in Folge von 68 entstanden sind, ausschließen, und unseren Wähler*innen, die sich dort engagieren, ernsthaft sagen, dass wir sie nicht haben wollen? Absurd. Zu behaupten, wir hätten deswegen den Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und Armut und für die Lohnabhängigen vernachlässigt, entbehrt jeder Grundlage.

DIE LINKE in Leipzig hat gezeigt, dass es gelingen kann, in den Plattenbauten in Grünau UND im alternativen Stadtteil Connewitz stark zu sein. Ohne die 40 Prozent in Connewitz für Sören Pellmann säße DIE LINKE jetzt auch nicht im Bundestag. Und auch wenn wir Grünau an die SPD verloren haben und teilweise unter dem Leipziger Durchschnitt liegen, so trugen auch die vielen Stimmen aus diesen Stadtteil zu Sörens Direktmandat bei. Die linke „Milieudebatte“ ist also überflüssig wie ein Kropf - wir müssen im Plattenbau und im Studentenviertel so stark wie möglich sein. Doch statt die im Wahlkampf typische und logische Stimmenmaximierung zu betreiben, wurde unsere Wählerschaft maximal gespalten, in dem wir selbst eine öffentliche Debatte darüber führen, ob wir nun um diese ODER um jene Wähler*innen werben sollen und unsere Kernkompetenz selbst in Frage stellen. Die Debatten erinnert an das typisch linke Sektierertum, in dem der Kampf gegen andere Linke am Ende wichtiger ist als der Kampf gegen die politischen Verhältnisse. Dahinter stecken innerparteiliche Machtkämpfe – mit den Bedürfnissen der Wähler*innen hat das wenig zu tun.

Während in der Gründungsphase unserer Partei ein großer Teil der Aufbruchsstimmung darin begründet lag, dass DIE LINKE sich als eine Sammlungsbewegung verschiedener linker Strömungen konstituierte, die sich im gemeinsamen Interesse der Veränderung zusammenraufen, ist diese Idee eine zermürbende Auseinandersetzung darüber gewichen, was nun die „eigentliche“ linke Strömung ist. Das alles erinnert an die Debatten zum „Hauptwiderspruch“ aus den 80er Jahren, von denen ich dachte, wir hätten sie überwunden. Am Ende haben wir in allen Wählergruppen verloren und Stimmen an alle politischen Mitbewerber abgegeben. Das können wir uns zukünftig nicht mehr leisten.

Was sollten wir also zukünftig tun, um aus der existentiellen Krise der LINKEN heraus zu kommen? Mein Vorschlag wäre, dass wir aufhören, gegenüber unseren Wähler*innen zu behaupten, wir würden ihre Interessen nicht mehr vertreten. Insbesondere von allen hochbezahlten Mitgliedern der Bundestagsfraktion kann erwartet werden, sich maximal für die Partei und die Interessen unserer Wähler*innen einzusetzen, und alles dafür zu tun, unsere Arbeit noch besser zu machen, statt uns öffentlich von der Seitenlinie schlecht zu reden. Und statt Entweder-Oder muss zukünftig ein Sowohl-als-auch gelten was unsere Wählermilieus betrifft. Wir brauchen Connewitz UND Grünau für eine zukunftsfähige LINKE.

Was meint ihr? Ich freue mich auf Eure Kommentare und Anmerkungen.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.