Die Spielregeln ändern.
Eine Rezension von Katrin Lompscher auf links-bewegt.de vom 18.10.2022
Caren Lay hat mit „Wohnopoly“ ein wichtiges Buch vorgelegt. Es analysiert gut gegliedert und verständlich die Ursachen der aktuellen Wohnungskrise und macht konkrete Vorschläge zu deren Überwindung. Selbst der seinerzeitige Bundesbauminister Horst Seehofer hat vom Wohnen als DIE soziale Frage unserer Zeit gesprochen. Viel für eine Lösung getan hat er gleichwohl nicht, wie so viele Verantwortliche vor ihm und die aktuelle Bundesregierung ebenso wenig.
Angesichts der Energiekrise, der allgemeinen Unsicherheit und der galoppierenden Inflation ist das Thema Wohnen aktuell vollkommen zu Unrecht in den Hintergrund gerückt. Die angekündigte Ausweitung und Anhebung des Wohngeldes sowie der in seinen Details noch unbekannte Energiepreisdeckel werden nicht dazu führen, dass Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen mehr Sicherheit gewinnen. Gleiches gilt für den Vorschlag eines Kündigungsmoratoriums und eines Verbots von Energiesperren. Wenn das Geld immer knapper wird, aber Mieten und Nebenkosten weiter steigen, geraten immer mehr Menschen in existenzielle Nöte.
Trotz der sich immer mehr zuspitzenden Wohnungsmarktsituation vor allem in wachsenden Städten hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag 2021 keine Absichten formuliert, die Wohnungsfrage sozial zu beantworten. Das hat vor allem die Anhänger:innen von SPD und Grünen enttäuscht, weil beide Parteien durchaus Erwartungen geweckt hatten. Und es führt uns vor Augen, dass eine soziale Wende in der Wohnungsfrage gegen politische Mehrheiten und starke Wirtschaftsinteressen erkämpft werden muss. Mieter:innen müssen sich organisieren und ihren Interessen eine starke Stimme und Durchsetzungskraft verleihen. Dabei ist die Lektüre von Wohnopoly eine gute Unterstützung.
In der Darstellung der Kardinalfehler der (bundes)deutschen Wohnungspolitik seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts gelingt es Caren Lay klarzumachen, dass die ständig steigenden Wohnkosten kein Naturgesetz sind. Sondern, dass sie die direkte Folge von politischen Entscheidungen sind. Wer die Mietpreisregulierung derart aushöhlt, wer die gemeinnützige Wohnungswirtschaft nicht reformiert, sondern abschafft, wer den öffentlichen Wohnungsbesitz verscherbelt und Finanzmarktakteuren den roten Teppich auf den Wohnungssektor ausrollt, wer nicht gegen Bodenspekulation vorgeht und kommunale Handlungsspielräume immer weiter verkleinert, hat die daraus folgende Preisentwicklung für das Wohnen entweder genauso gewollt, nimmt sie billigend in Kauf oder wusste nicht, welche Konsequenzen die eigenen Entscheidungen haben. Alles keine guten Nachrichten für Mieter:innen.
Es ist ein großes Verdienst von Caren Lay, dass sie nicht nur die Abfolge und den Inhalt der wohnungspolitisch fatalen Entscheidungen beleuchtet, sondern auch deren Entstehungshintergründe. Als erfahrene Wohnungspolitikerin auf Bundesebene weiß sie genau, wovon sie schreibt. Für die Leser:innen ist es sehr erhellend und auch spannend zu lesen, wie Bundestagsabgeordnete umgarnt, überredet, zuweilen überrumpelt werden. Wie eine scheinbar zukunftsweisende „Unternehmenssteuerreform“ die Büchse der Pandora öffnet, indem durch sie Finanzmarktakteure Zugang zum Wohnungssektor erlangen. Wie die beabsichtigte Stärkung des Finanzplatzes Deutschland Transparenz auf dem Immobilienmarkt verhindert, Geldwäsche erleichtert und die Bodenspekulation anheizt. Wie die Macht der Lobby und das Ungleichgewicht der Kräfte politische Entscheidungen beeinflussen.
Caren Lay beschreibt jede konkrete politische Entscheidung in ihren Entstehungszusammenhängen und in ihren Konsequenzen. Und das kurz und verständlich. Selbst für Leser:innen, die mit der Materie bereits vertraut sind, ist dies Herangehensweise gewinnbringend. Für alle Interessierten entsteht so ein guter Überblick über die (gescheiterte) Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte. Aus der gewählten Gliederung des Buches entwickeln sich dann logisch das Schlusskapitel zu Alternativen und das Mieten-Manifest als deren Zusammenfassung.
Niemand behauptet, es sei leicht, das Ruder herumzureißen. Dass es dringend erforderlich und faktisch möglich ist – das macht das Buch von Caren Lay unmissverständlich klar. Mieten deckeln wie in Berlin (aber auf bundesgesetzlicher Grundlage und mit regional angepassten Werten), Bauen wie in Wien, einen gemeinnützigen Wohnungssektor wieder einführen und schrittweise ausbauen, Wohnungsbestände rekommunalisieren, öffentliche Wohnungsunternehmen demokratisieren und Genossenschaften stärken, Immobilienspekulation eindämmen, Transparenz schaffen und die Bodenfrage endlich politisch aufgreifen, den Zugang zum Wohnungsmarkt und die Art der Wohnungsbewirtschaftung im Interesse der Allgemeinheit regulieren – das sind nicht nur für Caren Lay die zentralen Instrumente einer sozialen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Die nicht nur unsere Städte lebenswert erhält oder wieder macht, sondern auch die wachsende Kluft zwischen Boom-Städten und abgehängten Regionen überwinden hilft.
Um mit Brecht zu schließen: Es wird sich nur so viel Vernunft durchsetzen, wie die Vernünftigen durchsetzen. Also machen wir uns gemeinsam auf den Weg und werden dabei mehr und stärker. Der Erfolg des Berliner Volksentscheids „Deutsche Wohnen &Co enteignen“ macht dafür Mut. Weil er zeigt, dass jenseits parlamentarischer Mehrheiten Gewichte verschoben werden und Fortschritte gelingen können.