"Wohnopoly": Meinungsstark und gut belegt
"Wohnopoly": Meinungsstark und gut belegt
Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay hat ein Buch über Mietenpolitik geschrieben. Wir haben es gelesen.
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Angesichts immer neuer Meldungen über die steigende Lebensmittel- und Energiepreise kann man schon fast vergessen, dass andere wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens auch immer teurer werden. Dass die Wohnungsmieten weiterhin fast unbegrenzt ansteigen, ist offenbar kaum noch eine Meldung wert. Doch allein in Berlin kostete der neu angemietete Quadratmeter im Durchschnitt im ersten Quartal 2022 11,41 Euro. Ein Jahr zuvor waren es noch 10,49 Euro. Viel Presse gab es dafür nicht. Haben sich etwa viele an diesen Dauerzustand der steigenden Mieten gewöhnt oder sich gar damit abgefunden wie der berühmte Frosch im heißer werdenden Wasser?
Eine, die sich nicht damit abfinden möchte, ist die Bundestagsabgeordnete Caren Lay, die für die Linke seit 2016 das Thema in ihrer Fraktion bearbeitet. Ihre gewonnene Expertise in Theorie und Praxis hat sie nun in Buchform niedergeschrieben. Ihr Werk trägt den klingenden Titel „Wohnopoly“ und ist kürzlich im Westend Verlag erschienen.
Aber wie kam es überhaupt zur Not auf dem Wohnungsmarkt? Das ist die Frage, mit der Lay die aktuelle dramatische Situation zunächst analysiert. Ausgehend von ihrem eigenen und noch günstigen WG-Zimmer in Berlin-Kreuzberg, das sie während ihres Studiums bewohnte, zeichnet die Abgeordnete die rasante Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt nach und kommt zu dem Schluss, dass die Hauptursache die Spekulation mit Immobilien ist, die durch jahrzehntelanges Versagen der verschiedenen Regierungskonstellationen erst ermöglicht wurde. Lays These, die sich auch im Aufbau des Buches widerspiegelt: Die Wildwest-Situation in diesem Bereich, die stehts zu Lasten der Mieter*innen geht, wurde erst durch diverse Gesetze, die ausschließlich zugunsten der Immobilienkonzerne verabschiedet wurden, und dem Verscherbeln der kommunalen, landes- und bundeseigenen Wohnungsbeständen von blauäugigen Bundes- und Landesregierungen ermöglicht. Darüber hinaus analysiert Caren Lay die Gründe, warum trotz der seit Jahrzehnten andauernden Krise bisher kein Umdenken seitens der Verantwortlichen stattgefunden hat. Die Antwort lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Lobbyismus.
Doch Caren Lay klagt nicht nur an – sie liefert auch potentielle Lösungen und positive Beispiele aus vergangenen Zeiten und anderen Ländern, die es zum Teil besser machen oder machten. Denn – und das ist eine verblüffende Erkenntnis des Buches – es war durchaus schon einmal entspannter auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Viele der alten Instrumente wie einen Mietpreisbremse, die Wohngemeinnützigkeit oder die Baukelle für den sozialen Wohnungsbau könnten sofort wieder aus dem Schrank geholt werden. Doch ein reiner mietenpolitischer Rollback wird selbstverständlich nicht reichen. Es braucht viel mehr, um die Marktmacht der großen Immobilienkonzerte nachhaltig zu brechen. Vor allem braucht es mutige Regierungspolitiker*innen, die effektive Gesetze gegen Wohnraum- und Bodenspekulationen erlassen und keine Angst vor den großen Lobbyverbänden haben.
Caren Lay ist studierte Soziologin und erfahrene Fachpolitikerin in der Opposition. Beides wird in „Wohnopoly“ miteinander verwoben: Oft spitzt sie zu, klagt an und zeichnet ein düsteres, gleichwohl kein apokalyptisches Bild der Lage. Aber sie unterstreicht ihre starke Meinung auch stets auch mit Zahlen und Fakten, die in die lebendige und bildliche Sprache des Buches und in Anekdoten aus ihrem Abgeordnetenalltag eingewoben werden. Obendrauf gibt es auch immer wieder verblüffende Fakten. Oder wussten Sie, dass es unter der Regierung des CDU-Kanzlers Adenauer einmal einen weitgehenden Mietendeckel gab? Oder dass 144 hauptamtlichen Lobbyist*innen der Vermieter*innenseite gerade einmal 11 auf der Mieter*innenseite gegenüber stehen? Oder dass das be
liebte Brettspiel Monopoly ursprünglich Landlord, also „Vermieter“ heißen sollte?
Wichtig ist noch Folgendes zu betonen: Sollte irgendwer von der Lektüre abgehalten werden, weil die Autorin einer Bundestagsfraktion angehört, die in letzter Zeit ein desaströses öffentliches Bild abgegeben hat, ist die Sorge unbegründet. Das Buch ist keinesfalls egozentrisch und selbstgerecht geschrieben wie manche Polemiken anderer derzeitiger Fraktionsmitglieder, die in jüngster Zeit Furore machten. „Wohnopoly“ ist keine Wahlwerbung der Partei Die Linke, auch wenn die präsentierten Instrumente zur Reparatur des Wohnungsmarktes natürlich linke Handschriften tragen. Dass sie auch in ihrer eigenen Partei nicht immer auf offene Ohren gestoßen ist, gibt Lay an mehreren Stellen zu zu. Auch mietenpolitische Fehler linker Landesregierungen werden benannt. Das macht es zu einer gewinnenden Lektüre.
Wer eine meinungsstarke, aber immer evidenzbasierte und gut belegte Kritik der aktuellen Wohnungsmarktpolitik sucht, die auch Auswege und Alternativen aufzeigt und eine fundierte Einführung in ein komplexes Thema ist, sollte Caren Lays „Wohnopoly“ lesen.
Philipp Meinert