Die Bundesebene ist für viele Mieter und die Mietenbewegung sehr weit weg
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In Ihrem Buch bringen Sie die Ursache der derzeitigen Probleme auf dem Wohnungsmarkt auf eine einfache Formel: »Hinter der Wohnungskrise steht das Kapital.« Was meinen Sie damit?
Der Mehrheitsmeinung nach liegt das Problem beim Wohnungsmangel darin, dass viele Menschen aus ländlichen Regionen in die Städte und Studierende in Universitätsstädte ziehen, denn das mache Kieze teuer und lasse die Gentrifizierung voranschreiten. Ich sehe das Hauptproblem dagegen in der Spekulation mit Wohnraum, der infolge politischer Fehlentscheidungen immer mehr Raum gegeben wurde. Das Kapital hat längst den Wohnungsmarkt als eine sichere und besonders renditeträchtige Anlagemöglichkeit für sich entdeckt. Es ist wichtig, sich über die Ursachen klar zu werden, wenn man Gegenstrategien formulieren will.
Heißt das, der Zuzug hat keinen Einfluss auf die Situation am Wohnungsmarkt?
Viele Großstädte verzeichnen einen starken Zuzug, aber die Folgen werden in der Debatte überdramatisiert. Die Zunahme von Single-Haushalten etwa hat einen weitaus größeren Einfluss. Auch die Landflucht und die demographische Entwicklung leugne ich nicht, aber ich will ein Schlaglicht auf die Betrachtung von Wohnungen als Renditeobjekte werfen, wie sie immer geläufiger wird.
Wie kann die Spekulation Mietpreistreiber sein, wenn Finanzinvestoren und börsennotierte Wohnungskonzerne in Berlin oder Leipzig jeweils nur etwa 15 Prozent des Wohnungsbestands besitzen?
Diese Akteure haben häufig eine große Marktmacht in bestimmten Stadtteilen, wo sie ganze ehemals städtische Blocks aufgekauft haben. So haben sie manchmal sogar eine Monopolstellung bei Mieterinnen und Mietern mit geringen Einkommen. Zugleich lässt sich nachweisen, dass Immobilienaktiengesellschaften und Fonds Preistreiber auf den Mietenmärkten sind und anderen Vermietern den Takt vorgeben. Das macht sie auch gegenüber dem Staat sehr mächtig, denn sie können ihn mit steigenden Mieten quasi erpressen, da der Staat indirekt die Vermieter subventioniert.
Gleichzeitig stellen Sie mit Verweis auf den Ökonomen Heinz-Josef Bontrup dar, dass der Staat nach den Aktionären der größte Profiteur der Geschäftspraxis des größten deutschen Wohnungskonzerns Vonovia sei. Wieso ist das so?
Durch den Immobilienboom hat die öffentliche Hand deutlich mehr Einnahmen, etwa durch die Grunderwerbssteuer, die allerdings von den großen Konzernen durch Steuertricks umgangen wird. Zudem entlassen Vonovia und Co. den Staat ein Stück weit aus seiner Verantwortung für die Wohnraumversorgung für Menschen mit geringen Einkommen. Auf lange Sicht hat die Politik mit der massenhaften Privatisierung von öffentlichen Wohnungsbeständen seit Anfang der nuller Jahre jedoch einen schlechten Deal gemacht. Die Wohnungen wurden zu einem lächerlich geringen Preis verscherbelt, und heute fließen jährlich rund 17 Milliarden Euro an Wohngeld und Kosten der Unterkunft (im Rahmen von Hartz IV, Anm. d. Red.) in die Kassen der privaten Vermieter. Durch die Privatisierung hat die Politik Handlungsoptionen verloren; das macht es schwierig, gegen überhöhte Mieten, die Wohnungsnot oder derzeit die enorm angestiegenen Energiepreise vorzugehen.
Auf der Suche nach anderen Modellen der Wohnungspolitik schauen Sie zurück auf die Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, in der die »sichtbare Hand des Staats« und nicht die »Selbstheilungskräfte des Markts« die Wohnraumversorgung bestimmte, wie Sie schreiben. Was kann man von Konrad Adenauer (CDU), der von 1949 bis 1963 Bundeskanzler war, für eine soziale Wohnungspolitik lernen?
Dass das oberste Prinzip darin bestehen sollte, allen Menschen eine bezahlbare und warme Wohnung zur Verfügung zu stellen, statt einem verhältnismäßig überschaubaren Teil der Bevölkerung durch Immobilienspekulation ein gutes Geschäft zu garantieren. Ich will keinesfalls die kulturell sehr repressiven fünfziger und sechziger Jahre verklären. Allerdings war ich bei meinen Recherchen wirklich überrascht, dass es bis in die sechziger Jahre hinein, und in einigen Städten deutlich länger, in Westberlin sogar bis 1988, eine Art Mietendeckel gegeben hat. Zudem gab es einen gemeinnützigen Teil des Wohnungsmarkts, der per Gesetz nicht profitorientiert wirtschaftete.
Der Wohnungsmarkt kam ohne große private börsennotierte Immobilienaktiengesellschaften und Fonds aus. Letztere waren auf dem deutschen Wohnungsmarkt bis in die nuller Jahre gesetzlich gar nicht zugelassen und sie haben dort meiner Ansicht nach bis heute nichts verloren. Beim Wohnen handelt es sich um einen Teil der Daseinsvorsorge, der nicht wie jede andere Ware behandelt werden sollte. Viele Instrumente, die heute von der Mietenbewegung eingefordert werden, hat es in ähnlicher Weise in der Geschichte der Bundesrepublik schon gegeben.
Dafür bräuchte es einen grundlegenden Politikwechsel. Wie Sie jedoch Ihrem Buch darlegen, spielen die Interessen von Mietern auf Bundesebene heute nur eine geringe Rolle. Welche Erklärung gibt es dafür?
Das Regierungsviertel steckt in einer Blase, in der Lobbyismus eine große Rolle spielt. Der Immobilienwirtschaft steht deutlich mehr Geld und Personal zur Verfügung, um eine Debattenhegemonie herzustellen, als dem deutschen Mieterbund. Während die Mieterseite ganze vier Vertreter aufbietet, habe ich seitens der Immobilienlobby im Lobbyregister 144 Personen gezählt. Die Immobilienlobby lädt Abgeordnete zu Abendessen und Podiumsdiskussionen ein, um ihnen die eigenen Argumentationslinien zu vermitteln. Hinzu kommt ein millionenschwerer Lobbyismus bei der Finanzierung von Parteitagen und mittels Spenden.
Hier waren CDU und SPD immer vorne mit dabei?
Aber neuerdings geraten auch Grüne und AfD in den Blick. Und auch im Bundestag bestimmt das Sein das Bewusstsein, das gilt umso mehr für Minister und Staatssekretäre sowie die Beamten in der Verwaltung, die zu einem erheblichen Teil zur Ausgestaltung der Politik beitragen. Das führt dann dazu, dass die Bundesbauministerin (Klara Geywitz, SPD; Anm. d. Red.) bei »Markus Lanz« eher von Lieferschwierigkeiten beim Eichenparkett berichtet als von Menschen, die aus ihren Wohnungen geräumt werden. In den Nachkriegsjahrzehnten, als Politiker noch selbst Erfahrungen mit Wohnungsnot machen mussten, sind viele mit einer anderen Haltung an das Thema herangegangen.
Wieso konnte die seit vielen Jahren aktive Mietenbewegung daran kaum etwas ändern?
Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass die Bundesebene für viele Mieter und die Mietenbewegung sehr weit weg ist. Die Menschen kämpfen für ihre eigene Wohnung, ihr Haus, ihren Stadtteil und vielleicht noch für ihre Stadt, aber die großen Pflöcke werden eben auf Bundesebene eingeschlagen. Das Mietrecht ist Bundessache, natürlich auch das Haushaltsrecht, und da ist es ein Problem, wenn es auf lokaler Ebene eine aktive Mietenbewegung gibt, aber davon sehr wenig auf der Bundesebene ankommt.
Seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie lässt sich beobachten, dass die Mietenbewegung weniger mobilisieren kann. Was bedeutet das für eine linke Wohnungspolitik im Parlament?
Auch ich beobachte Konjunkturen des Themas. Einerseits hat Corona die Organisierung geschwächt, andererseits lässt sich das durch die neue Regierungskoalition im Bund erklären, an der SPD und Grüne beteiligt sind, denen viele Aktive in den Mieterinitiativen und -organisationen parteipolitisch verbunden sind. Deshalb fällt die Kritik des Regierungshandelns deutlich zurückhaltender aus, obwohl die Koalition im Bereich Mietenpolitik kaum etwas geliefert hat. Hinzu kommen die habituellen und politischen Widersprüche zwischen Initiativen und Verbänden. Deswegen ist es mein Ziel, zwischen ihnen wieder eine stärkere Kooperation hinzubekommen. Das versuche ich, durch meine Runden Tische zur Mietenpolitik oder durch mietenpolitische Ratschläge zu organisieren.