Es gibt ein Recht auf Wohnen, aber kein Recht auf Rendite

Artikel von Michael Güthlein in chrismon, das evangelische Magazin, vom 30.12.22

 

Linken-Politikerin Caren Lay sieht die Immobilienspekulation als Ursache für hohe Wohnkosten. Was die Regierung dagegen tun könnte und warum sie findet, die MitteLinks-Parteien hätten sich an den Mietern versündigt, erklärt sie im Interview.

chrismon: Mieten steigen rasant, die Immobilienpreise sind hoch wie nie. Viele Normalverdiener haben große Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Was ist da schiefgelaufen? Caren

Lay: Der Staat hat sich nach und nach aus der politischen Regulierung des Wohnungsmarktes herausgezogen. Die Mittelschichten haben fast keine Chance mehr, Eigentum zu erwerben, obwohl es das Aufstiegsversprechen der alten Bundesrepublik war, dass man mit harter Arbeit und bescheidener Lebensführung sein Eigenheim haben kann. Dieser Traum ist vielleicht noch im ländlichen Raum realisierbar - oder wenn man erbt. Aber in den Großstädten ist das sehr schwierig.

Was sind die Ursachen?

Der Staat hat viel zu wenig Geld in den Neubau investiert. Städtische und gemeinnützige Wohnungsunternehmen haben früher Steuervorteile bekommen. In den nuller Jahren hat die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder große Fonds durch Steuergeschenke regelrecht auf den Immobilienmarkt eingeladen und damit zu einer Massenprivatisierung von Werkswohnungen und städtischen Wohnungen beigetragen. Diesen Fonds geht es nicht um die Herstellung von Wohnraum, sondern um schnellen Profit.

Warum schiebt die Politik den Spekulationen mit Wohnraum keinen Riegel vor?

Menschen mit wenig Geld haben keine Lobby. Steuererleichterungen für Neubauprojekte sind schnell beschlossen, aber das Geld für den sozialen Wohnungsbau ist nicht da. Fordern wir als Linke eine öffentliche Mietpreisregulierung, die es noch unter Konrad Adenauer gegeben hat, heißt es, wir wollen Oma Else ihr Häuschen wegnehmen.

Wollen Sie Oma Else das Häuschen wegnehmen?

Wir brauchen eine neue Mieterbewegung, und Oma Else ist Teil von uns. Als es vor kurzem die Debatte zum Bürgergeld gab, war ich dafür, dass wir ein hohes Schonvermögen berücksichtigen, damit Oma Else ihr Häuschen behalten kann, wenn sie mal ihren Job verliert oder wenn sie ins Pflegeheim kommt und es ihren Enkeln übertragen oder vererben will. Dafür würde ich immer kämpfen. Was mir vorschwebt, ist ein Mitte-unten-Bündnis, also der Menschen mit geringerem Einkommen und der Mittelschicht, die auch merken, dass sie ihre Wünsche und Träume nicht mehr realisieren können, weil sie nur noch für die Miete arbeiten. Denjenigen, die nur Geld machen und Rendite für ihre Aktionäre herausschlagen wollen, möchte ich sagen, dass es so nicht geht. Wohnungen sind in erster Linie zum Wohnen da und keine Ware. Es gibt ein Recht auf Wohnen, aber kein Recht auf Rendite.

Was wäre nötig, damit es wieder bezahlbaren Wohnraum gibt?

In Städten oder Regionen, wo die Mietpreise komplett außer Rand und Band sind, braucht es Gesetze, die das Mietniveau wieder regulieren. Also einen atmenden Mietendeckel. Zweitens brauchen wir einen Teil des Wohnungsmarktes, der per Gesetz gemeinnützig organisiert ist, wie wir es in Deutschland schon mal hatten und wie es Wien bis heute erfolgreich praktiziert. Drittens schlage ich eine Art Antispekulationsgesetz vor. Immobilienspekulation muss hart besteuert oder ganz unterbunden werden.

Wenn der Staat große Wohnkonzerne stärker besteuert und die Spekulation einschränkt, könnte es dazu führen, dass sie sich aus Deutschland zurückziehen und dem Staat dadurch Einnahmen entgehen, die wiederum in die Wohnförderung fließen könnten.

Ich erkenne keinen Mehrwert daran, dass mit Wohnungen an der Börse gehandelt wird. Die Städte müssen wieder den Städten selbst gehören und nicht einer kanadischen Versicherung oder dem chinesischen Staatsfonds. Das ist doch keine gute Entwicklung. Ich möchte, dass wir zwei neue Prinzipien auf dem Wohnungsmarkt einführen: lokal vor global und gemeinnützig vor profitorientiert:

Sie haben Ihr Buch weitgehend vor der Ukraine-Krise geschrieben. Seitdem sind die Energiekosten stark gestiegen, Baukosten etwas gesunken und die Niedrigzinsphase ist vorbei. Hat sich an Ihren Einschätzungen etwas verändert?

Eigentlich nicht. Ich beschreibe in meinem Buch den starken Anstieg der Kaltmieten. Dazu kommt jetzt ein wahnsinniger Anstieg der Nebenkosten - die Energiekrise. Hinzu kommt die Klimakrise. Auch da wird es darauf ankommen, welche Maßnahmen wir ergreifen, damit das Wohnen nicht noch teurer wird. Wenn wir es so machen wie bisher, dass die klimagerechte Sanierung von Gebäuden dazu führt, dass die Mieten sich verdoppeln, ist das eine tickende soziale Zeitbombe.

Sie sagen, dass die Kommunen Wohnungen zurückkaufen sollen. Dabei argumentieren Sie auch, dass die Wohnungen langfristig eine gute Anlage für die Gemeinden wären, weil sich ihr Wert steigert. Hat sich diese Forderung durch das Ende der niedrigen Zinsen erledigt?

Ja, die Zinsen steigen wieder, gleichwohl hat es sich volkswirtschaftlich überhaupt nicht gelohnt, alle diese Wohnungen zu privatisieren, weil der Staat das jetzt als Kosten der Unterkunft für Hartz-IVEmpfänger und Wohngeld doppelt und dreifach zahlt. Insofern ist es eine gute Option, die Städte zurückzukaufen.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.