Verbraucherpolitische Bewertung des Koalitionsvertrags

15.12.2009

Caren Lay

Leitbild der Bundesregierung „Mündiger Verbraucher“ ist überholt

Leitbild der Bundesregierung ist der gut informierte, mündige Verbraucher. Hierzu will die Regierung durch mehr Transparenz bzw. verständliche Information und Aufklärung und ggf. mehr Rechte beitragen. Das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) soll auf Grundlage der Evaluation reformiert und die Ernährungsbildung vom Kindergarten an ausgebaut werden. Das Problem, dass Verbraucher und Verbraucherinnen als Laien und mit beschränktem Zeitbudget in sämtlichen Lebensbereichen auf Augenhöhe zwischen Anbietern, Produkten und Verträgen wählen müssen, klammert die Koalition weitgehend aus.

Angekündigter Angriff auf Verbraucherinteressen

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die kapitalgedeckte Altersvorsorge auszubauen, das Mietrecht im Sinne von Vermietern zu verändern und die Gesundheitsvorsorge zunehmend der individuellen Selbstgestaltung und dem Wettbewerb der Anbieter zu überlassen. Hinzu kommt, dass unlautere Geschäftspraktiken vor allem im Internet, schwankende Energiepreise und globalisierte Märkte Verbraucherinnen und Verbrauchern immer mehr abfordern. Doch selbst, wo von Zusatzstoffen oder Missbrauch gesundheitliche Gefährdungen ausgehen oder der Datenschutz betroffen ist, setzt die Koalition auf die individuelle Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger.

Falscher Ressortzuschnitt

Ministerin Aigner ist es nicht gelungen, die Kompetenzen in einem wirkungsmächtigen Verbraucherministerium zu bündeln. Dies wird der Querschnittsaufgabe nicht gerecht. Wesentliche verbraucherpolitische Zuständigkeiten liegen beim Justiz-, beim Finanz- und beim Wirtschaftsministerium.

EU-Verbraucherpolitik: Bundesregierung verzichtet auf nationale Gestaltungsspielräume

Die laut EU-Richtlinie vorgesehene Vollharmonisierung von Verbraucherschutzvorschriften soll auf einzelne Bereiche beschränkt bleiben. Für diese Bereiche ist eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes zu erwarten, da (1) die Standards vieler EU-Mitgliedstaaten gering sind und (2) Harmonisierung erfahrungsgemäß einseitig zu Gunsten von Unternehmen verläuft.

Interessen der Wirtschaft dominieren

Bei Lebensmitteln, insbesondere bei der Ernährungsbildung und Lebensmittelkennzeichnung, orientiert sich die Koalition an den Forderungen der Lebensmittelindustrie: Werbeverbote und „Strafsteuern“ für ungesunde Lebensmittel lehnt sie ab. Statt einer Ampelkennzeichnung soll es bei Herstellerbezeichnungen bleiben. Qualitätssicherungssysteme sollen privatwirtschaftlich organisiert werden. Informationssysteme der Wirtschaft zur nachhaltigen Produktion sollen freiwillig bleiben.

Vieles ist bereits Gesetz oder fällt nicht in die Zuständigkeit des Bundes

Viele Formulierungen des Koalitionsvertrags sind bereits Gesetz (Lebensmittelsicherheit, Kennzeichnungspflicht) oder auf EU-Ebene in Vorbereitung (Verbraucherrechte). Langfristige Konzepte zur Finanzierung unabhängiger Verbraucherberatung zu entwickeln, ist ein jahrelanges Versprechen des BMELV. Zudem benennt die Koalition Ziele, für die ausschließlich die Länder zuständig sind (Kontrollen).

Finanzieller Verbraucherschutz: extrem lückenhaft

Eine Beweislastumkehr bei Schadensersatz fehlt ebenso wie ein Ausbau von unabhängiger und kostenfreier Beratung (statt provisionsgetrieben oder kostenpflichtig gegen Honorar). Kreditnehmerschutz ist nur für Immobiliendarlehen geplant.

Weitere Lücken

Die zentrale Forderung, Marktwächter einzurichten, ist nicht benannt. Auch sonst vermisst man die demokratische Vertretung von Verbraucherinteressen. Es bleibt bei einer unsicheren Finanzierung der Verbraucherverbände. Unklar ist auch, wie Kostenfallen im Internet und ungebetenen Werbeanrufen begegnet werden soll. Ohne das Recht auf Sammelklagen bleibt die Rechtsdurchsetzung schwach.

Fazit für LINKE Forderungen

  • Verbindliche Regulierung für Unternehmen statt überforderte Verbraucherinnen und Verbraucher

  • Institutionelle, rechtliche (z.B. Sammelklage) und finanzielle Stärkung des Verbraucherschutzes

  • Gewinnabschöpfung bei unlauteren Praktiken verbessern

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.