Immunität wegen Anti-Nazi-Blockade aufgehoben
Ich bin empört, dass der Immunitätsausschuss mit den Stimmen der Union, der FDP und auch der SPD meine Immunität als Abgeordnete aufgehoben hat. Auch mein Kollege Michael Leutert (MdB) ist von dieser Entscheidung betroffen.
Vor dem Hintergrund der rassistischen Mordserie durch Nazi-Terroristen haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestags gemeinsam erklärt: „Rechtsextremistischen Gruppen und ihrem Umfeld muss der gesellschaftliche und finanzielle Boden entzogen werden.“ Diese Erklärung darf keine Sonntagsrede bleiben. Zivilcourage gegen Nazis ist notwendig und darf nicht bestraft werden.
Obwohl es möglich gewesen wäre, hat mir die schwarz-rot-gelbe Mehrheit der Abgeordneten im Immunitätsausschuss noch nicht einmal das Recht gewährt, persönlich Stellung zu nehmen.
Hier ist, was ich im Immunitätssausschuss des Deutschen Bundestages gesagt hätte, wenn man mir das Recht auf Anhörung gewährt hätte:
Meine Damen und Herren,
Sie prüfen eine Anfrage der Staatsanwaltschaft Dresden, die strafrechtlich gegen mich vorgehen will. In dieser Sache geht es wohlgemerkt nicht um Diebstahl oder Steuerhinterziehung und auch nicht um ein Verkehrsdelikt. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft beziehen sich auf meine Teilnahme an einer friedlichen politischen Protestaktion mit dem Ziel, den Nazi-Aufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden zu verhindern.
Ich bin im Jahr 2000 nach Dresden gezogen. Seither musste ich Jahr für Jahr im Februar erleben, wie mehrere Tausend alte und junge Neonazis ohne nennenswerte demokratische Gegenwehr durch unsere Stadt gezogen sind. Jeder, der da einmal persönlich oder im Fernsehen mit angesehen hat, der weiß, dass das ein schauerlicher Anblick ist. Jahr für Jahr wurde die Teilnehmerzahl größer. Dresden wurde im Februar zu einer regelrechten Pilgerstätte für Neonazis.
Ich habe mich sehr gefreut, dass sich seit einigen Jahren ein breites gesellschaftliches Bündnis aus Parteien, Initiativen, Gewerkschaften und Verbänden zusammengefunden hat, um diesen Spuk zu beenden.
Ich halte es vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und insbesondere nach der Aufdeckung der fürchterlichen rassistischen Mordserie durch Nazi-Terroristen für eine demokratische Pflicht, sich gegen solche Aufmärsche und deren Zurschaustellung rassistischer und menschenverachtender Ideologie zur Wehr zu setzen!
Bundestagspräsident Lammert hat in seiner Rede zum Gedenken an die Shoa im Bundestag erklärt, „unser Ziel und unsere Verpflichtung“ sei es „dass in Deutschland alle Menschen frei und gleich und ohne Angst leben können.“ Die vergangenen Wochen und Monate mit der Aufdeckung einer beispiellosen Mordserie hätten allerdings gezeigt, dass wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben. Allerdings würden sich jeden Tag überall in Deutschland Bürgerinnen und Bürger für dieses Ziel einsetzen. Der Bundestagspräsident sagte: „Da sind Einzelne, Vereine, ganze Dörfer; da sind Menschen, die den Rechtsextremen, die durch ihre Städte marschieren wollen, immer wieder entgegentreten und zeigen: Wir dulden eure Diffamierungen, euren Hass nicht, schon gar nicht eure Gewalt. Es sind Menschen, die Zivilcourage beweisen, die nicht wegsehen, Diskriminierungen nicht unwidersprochen stehen lassen. Es sind Menschen, die ein Beispiel geben und die Mut machen. Dieses Engagement werden wir brauchen und diesen Mut auch.“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
gemeinsam mit vielen anderen Menschen, darunter auch zahlreichen Abgeordneten von SPD, Grünen und LINKEN, habe ich vor einem Jahr in Dresden diesen Mut bewiesen. Ich hoffe heute auf Ihre Solidarität!
Auch für die nächste Woche mobilisiert wieder ein breites Bündnis, um den Neonazi-Aufmarsch in Dresden zu verhindern. Der Zentralrat der Juden und Wolfgang Thierse rufen dazu auf. Es wäre ein fatales politisches Signal, wenn Sie heute unsere Immunität aufheben und damit signalisieren, dass es sich um eine Straftat handelt.
In der gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen im letzten November haben wir Abgeordnete festgestellt: „Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben. Rechtsextremistischen Gruppen und ihrem Umfeld muss der gesellschaftliche und finanzielle Boden entzogen werden.“
Heute zeigt sich, ob es sich dabei um eine Sonntagsrede handelt oder ob wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Demokratie in der Praxis!
Ich habe im vergangenen Jahr in Dresden wie viele Tausend engagierte Bürgerinnen und Bürger friedlich mein von der Verfassung verbrieftes Demonstrationsrecht wahrgenommen. Ein strafrechtlich relevantes Verhalten kann ich darin nicht erkennen. Denn Protest gegen Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Geschichtsrevisionismus ist ohne Zweifel dringend erforderlich!