Wie die Energiewende sozial wird

10.10.2012
Gregor Gysi, Eva Bulling-Schröter und Caren Lay

Der Sockeltarif für Strom: Grundversorgung sicherstellen, Verschwendung eindämmen

Ich freue mich, dass die Bundesregierung das Thema Energiearmut und bezahlbare Energiepreise endlich erkannt haben. Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass damit ein ganz anderes Ziel verfolgt wird, nämlich darum, die Energiewende schlecht zu reden und die Schuld auf die erneuerbaren Energien zu schieben. Denn Peter Altmaier fällt bisher nichts anderes zu dem Thema ein als eine Energieberatung für die VerbraucherInnen. Das ist weniger als dürftig.

Klar ist: Seit 2000 sind die Strompreise um gut 75 Prozent gestiegen, während die Reallöhne von Arbeitnehmern leicht sanken. Natürlich haben sich auch die Konzerne in diesem Zeitraum massive Gewinne eingefahren. Allein E.ON, RWE und EnBW haben ihre Gewinne von 2002 (knapp 6 Milliarden) bis 2009 (23 Milliarden) vervierfacht.

Bei den Stromtarifen ist die Situation schizophren: Denn dadurch das die Tarife in einerseits Grund- und andererseits Arbeitspreis gegliedert sind, zahlen diejenigen, die wenig verbrauchen mehr pro kWh, als diejenigen, die mehr verbrauchen, weil der Grundpreis sich bei ihnen auf mehr kWh verteilt. Die bisherigen Tarifmodelle sind unsozial und ökologisch ist das auch unsinnig, weil so keine Anreize zu Stromsparen gesetzt werden.

Das heißt, der Anteil Haushaltseinkommens, der für Strompreise ausgegeben wird, ist kontinuierlich gestiegen. Hinzu kommt die soziale Schieflage. Geringverdiener geben bis zu 10 Prozent ihres Einkommens für Energie aus, Wohlhabende gerade einmal ein bis zwei Prozent.
Wir wollen, dass die Energiewende sozial wird. Dass heißt wir wollen ein sozial-ökologisches Tarifmodell, dass gezielt diejenigen mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen entlastet und zudem zu sparsamen Verhalten ermuntert.

Unsere Lösung ist ein sozial-ökologischer Sockeltarif

Das bedeutet erstens:
Das sozial-ökologische Sockeltarifmodell für Strom besteht aus einem kostenlosen Grundkontingent pro Haushalt , das um ein einem Freikontingent je Haushaltsmitglied ergänzt wird.
Der über diesen Gratis-Sockel hinausgehende Stromverbrauch wird teurer als heute. Es besteht dann ein echter Anreiz zu einem Sparsamen Verbrauch – jede eingesparte kWh macht dann einen Unterschied.

Bei einem Gratis-Haushaltssockel von z.B. 300 Kilowattstunden (kWh) Strom zuzüglich kostenloser 200 kWh pro Person, die im Haushalt lebt, profitiert im Vergleich zum jetzigen Strompreismodell jeder Haushalt, der weniger als der Durchschnitt verbraucht. Bei überdurchschnittlichem Stromverbrauch steigt die Stromrechnung im Vergleich zu heute. Da der Stromverbrauch mit steigendem Haushaltseinkommen zunimmt, werden auf diese Weise reiche Haushalte belastet und ärmere real entlastet.

Das Sockelmodell ist damit ein Pilotprojekt für einen sozial-ökologischen Umbau, der die Verteilungsfrage wie die ökologische Effizienz ernst nimmt. So kann die Energiewende tatsächlich sozial werden – und genau das ist unser Anspruch als DIE LINKE.

Stromversorgung für alle statt Stromsperren

Jenseits der Frage der Tarifmodelle duldet das Problem der Stromsperren keinen Aufschub. Hier muss sofort gehandelt werden. Die nach Hochrechnungen des Bundes der Energieverbraucher bis zu 800.000 Abklemmungen für das Jahr 2012 sind eine stille soziale Katastrophe.

Denn die Versorgung mit Strom ist eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Wir fordern die Bundesregierung auf, durch eine sofortige Änderung der Stromgrundversorgungsverordnung Stromsperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit unverzüglich zu untersagen. In einem zweiten Schritt ist das Verbot von Abklemmungen auch gesetzlich zu verankern.

Nach lediglich einer Sperrungsandrohung und einer Ankündigung kann das Unternehmen die Stromversorgung ohne Gerichtsbeschluss unterbrechen. In keinem anderen Bereich sind die Gläubiger in einer derart starken rechtlichen Position wie die Stromanbieter. Während zum Beispiel das Mietrecht hohe Hürden bei Räumungsklagen vorsieht, sind Stromsperren rechtlich völlig unterreguliert und werden ohne Gerichtsbeschluss vollstreckt. Die Unternehmen müssen verpflichtet werden, diesen Schritt den Sozialbehörden zu melden, die dann helfen können. In Frankreich wird dies bereits praktiziert. Problematisch sind auch die hohen Kosten zwischen 200 und 400 Euro, die die Haushalte dann tragen müssen.

Nicht nur in Großbritannien, sondern auch auf der Ebene der EU gibt es einen anderen Umgang mit dem Problem: Im EU-Recht ist ausdrücklich vorgeschrieben, dass die Mitgliedsstaaten schutzbedürftige Verbraucher vor dem Ausschluss der Stromversorgung angemessen schützen sollen (Richtlinie 2003/54/EG, Art. 3, Abs. (5)). Bisher hat die Bundesregierung selbst diesen EU-rechtlich vorgeschriebenen Mindestschutz nicht in deutsches Recht umgesetzt. Dies bedeutet, dass sogar Familien mit kleinen Kindern, gebrechliche oder kranke Personen vom Stromnetz gekappt werden.

Bei vielen Betroffenen führen Stromsperren zu Scham, Rückzug und Selbstisolation vom gesellschaftlichen Leben. Dessen ungeachtet ist Deutschland „Europameister im Abklemmen“, wie der Bund der Energieverbraucher festgestellt hat. Für die LINKE ist das ein Skandal, für die Bundesregierung offensichtlich kein Thema.

Abwrackprämie für Stromfresser

Letzter Punkt: Natürlich macht Sinn auch auf die Verbrauchseite zu schauen. Aber anders als Peter Altmeier. Ja, es ist möglich durch Stromsparberatung für einkommensschwache Haushalte einen Effekt zu erzielen.

Unser Ansatzpunkt ist ein anderer. Wir fordern eine Abwrackprämie für Stromfresser:

Denn alte Elektrogeräte sind meist wahre Energieschleudern. Der Besitz energiesparender Haushaltsgeräte darf jedoch nicht von der sozialen Lage abhängen. Privathaushalte sollen daher einen Zuschuss von 200 Euro bei der Neuanschaffung eines Kühlschranks, einer Wasch- oder Spülmaschine mit der Energieeffizienzklasse A+++ erhalten, wenn das Altgerät mindestens 10 Jahre alt ist.

Wie kann das finanziert werden?

Die Abwrackprämie kann aus den Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer bestritten werden, die rechnerisch auf der EEG-Umlage liegen. Auf Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung diese Einnahmen mit knapp einer Milliarde Euro beziffert. Das dürfte reichen.

Das wäre ein weiteres Pilotprojekt für einen sozial-ökologischen Umbau.
Die Energiewende muss sozial werden. Mit unseren Vorschlägen, kommen wir da ein paar Riesenschritte voran. Die LINKE hat dazu einen Antrag eingereicht und wird ihn in der nächsten Sitzungswoche einbringen.

Vielen Dank!

Gregor Gysi, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, DIE LINKE: Wie die Energiewende sozial wird
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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.