Industrierabatte sind ein Geschenk an die großen Konzerne

23.05.2014
Caren Lay, DIE LINKE: Industrierabatte sind ein Geschenk an die großen Konzerne

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es verwundert mich natürlich nicht, dass die Union auch heute das Ausmaß der Industrierabatte verteidigt; das war schon in der letzten Legislaturperiode so. Wir haben nichts anderes erwartet.

Dass die SPD in dieser Legislaturperiode mit einer solchen Vehemenz in diesen Chor einstimmt, verwundert mich schon sehr. Denn von welcher Seite haben Sie Applaus für diesen Gesetzentwurf bekommen? Das war der Applaus von den Chefetagen der Industrie. Dort haben regelrecht die Sektkorken geknallt. Ich muss mich wundern. Dass Sie so viel Applaus nur von der Wirtschaftsseite bekommen, während sich die Bürgerinnen und Bürger, wie ich finde zu Recht, beschweren und übrigens auch das Gros der Medien in der Berichterstattung die zusätzliche Belastung beklagt, sollte Ihnen wirklich zu denken geben.

Es ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass sowohl Herr Gabriel als auch Herr Tiefensee und die anderen Redner der Koalition versuchen, den Eindruck zu verwischen, es gehe ihnen nur um die Industrieinteressen. Sie tun so, als ob es Ihnen auch um die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher ginge. Dazu muss ich sagen: Außer dieser Beteuerung habe ich kein einziges Argument gehört, das mich davon überzeugt.

Schauen wir uns die Fakten doch einmal an. Erstens. Das Entlastungsvolumen der Industrie soll bei gut 5 Milliarden Euro bleiben. Wir reden dabei nur über die Stromrechnung. Es sind aber noch Entlastungen im Bundeshaushalt versteckt, über die wir überhaupt noch nicht gesprochen haben. Zweitens. Die Anzahl der Branchen, die entlastet werden sollen, steigt sogar an. Lag die Zahl bisher faktisch bei 168 Branchen, so soll sie jetzt auf 219 festgelegt werden. Wenn man weiß, dass in Deutschland insgesamt nur 246 Branchen gezählt werden, dann kann man ausrechnen, dass faktisch ein Großteil der Branchen prinzipiell Entlastungen beantragen kann.

Mit diesem Vorgang hat Sigmar Gabriel dafür gesorgt, dass er Gerhard Schröder den Ruf als Genosse der Bosse abspenstig gemacht hat. Ich habe noch nicht gehört, dass Sie dem entgegengewirkt haben. Am Ende ist er auch noch stolz darauf. Ich finde, auch das sollte der SPD zu denken geben.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin Lay, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder eine Zwischenfrage von Herrn Tiefensee?

Caren Lay (DIE LINKE):

Ja, sehr gerne.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Tiefensee.

Wolfgang Tiefensee (SPD):

Frau Lay, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Sie haben gerade die Summe der Branchen erwähnt, die in den Listen 1 und 2 des Gesetzes zur Reform der Besonderen Ausgleichsregelung zu finden sind. Ist es so, dass Sie wider besseres Wissen oder weil Sie es nicht anders wissen die Liste 1 und die Liste 2 in eins fügen? Denn Sie könnten wissen, dass wir 68 Branchen und nicht über 200 entlasten. Die Liste 2 umfasst die Möglichkeit für einzelne Unternehmen einer dieser Branchen, eine Entlastung zu beantragen; sie umfasst nicht die Möglichkeit für die gesamte Branche.

Wir müssen also auch für die Öffentlichkeit deutlich zwischen der Liste 1 mit 68 Branchen und der Liste 2 unterscheiden, aufgrund welcher nicht die Branche befreit ist, sondern möglicherweise einzelne Unternehmen, die einer solchen Branche angehören. Ist Ihnen dieser Unterschied bekannt, und, wenn ja, warum vermengen Sie in Ihrer Rede diese beiden Listen und suggerieren somit eine größere Anzahl von befreiten Branchen?

Caren Lay (DIE LINKE):

Mir ist dieser Unterschied durchaus bekannt. Ich bedanke mich für die Zwischenfrage, weil ich dadurch auf diesen Umstand und die Liste 2 noch einmal eingehen kann. In der Tat steckt darin kein Automatismus, aber immerhin die Möglichkeit, eine Befreiung zu beantragen. Wenn ich mir die Liste 2 ansehe, wundere ich mich an mancher Stelle, was alles, zu Ihrem Stolz oder auch zu Ihrer Begeisterung, in die Liste hineinverhandelt wurde. Es ist schon von dem Kollegen Krischer erwähnt worden, welche Branchen dort aufgeführt sind.

Ich habe mir notiert: Auf Liste 2, Nummer 212, ist eine potenzielle Entlastung für Fantasieschmuckunternehmen vorgesehen. Man kann dafür privat eine Affinität haben, aber dass eine solche Firma potenziell eine Belastung beantragen kann, halte ich einfach nur für lächerlich. Es gibt noch andere Stellen, bei denen für mich der Spaß aufhört. Auf der Liste 2 ist auch eine mögliche Entlastung von Herstellern von militärischen Kampffahrzeugen vorgesehen. Wenn ich es richtig verstehe, geht es um die Panzerproduktion. Wenn es am Ende dazu kommt, dass die Bürger mit ihrer Stromrechnung noch das Geschäft mit dem Krieg subventionieren, dann kann ich dem einfach nicht zustimmen, und da bleibe ich auch bei meiner Kritik.

Ich will auf den Vorwurf eingehen, der uns in dieser Debatte, auch gerade vorhin wieder, gemacht wurde, nämlich die Linke sei industriefeindlich und uns lägen die Arbeitsplätze nicht am Herzen. Ich will Sie wirklich darum bitten, den Antrag zu lesen, den wir vorgelegt haben. Herr Krischer, ich verstehe gar nicht, warum wir uns gegenseitig einen mitgeben müssen. Als wir das letzte Mal auf der Grundlage von Anträgen darüber debattiert haben, waren die ersten beiden Kriterien, die Linke und Grüne vorgeschlagen haben, identisch.

Also, die Firmen sollten tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen und tatsächlich energieintensiv sein. Die EU hatte ursprünglich 15 Branchen festgelegt. Dazu stehen wir, und dazu stehen auch die Umweltverbände.

Das heißt, auch nach unserer Vorstellung könnten Stahl-, Chemie- und Grundstoffindustrie von der EEG-Umlage entsprechend entlastet werden; das will ich hier klipp und klar sagen. Das jetzt geplante Ausmaß der Ausweitung der Befreiung von der EEG-Umlage finde ich wirklich unerhört. Zu argumentieren, es gehe Ihnen hier nur um den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland, und kein einziges Wort zu all den Arbeitsplätzen zu verlieren, die im Bereich der erneuerbaren Energien schon verloren gegangen sind, finde ich ebenfalls wirklich unerhört.

Ich bin zuletzt von einem Redner der SPD gefragt worden, ob ich bereit sei, mit ihm in seinen Wahlkreis im Ruhrgebiet zu fahren, wo die Stahlindustrie beheimatet ist. Ich habe geantwortet: Erstens, ja, sehr gerne, und, zweitens, auch wir als Linke wollen die Stahlindustrie entlasten. Umgekehrt bitte ich Sie alle, einmal in meinen Wahlkreis in der Lausitz zu kommen. Die Situation dort ist folgendermaßen: Alle drei Solarfirmen, die sich dort angesiedelt und gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen hatten, sind durch die Politik in der letzten Legislaturperiode eingegangen. Auch diese Wahrheit gehört zu dieser Debatte.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Mit diesem Gesetzentwurf hat Sigmar Gabriel den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch seiner Partei keinen großen Gefallen getan. Die Industrierabatte werden am Ende das für die SPD, was die Hoteliersteuer für die FDP war. Ich kann Sie nur auffordern: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück!

Vielen Dank.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.